Herbert Köhler
Zur Komposition TRANSFER 2024 von Volker Heyn
TRANSFER nach Texten und Szenen aus John Dos Passos' Buch Manhattan Transfer und aus Upton Sinclairs The Jungle für
zwölf Tonbandspuren, großes Orchester und visual art in Form von gezeichneten Comics als stills und animiert.
Klanggenerierung: Tonbandmaschinen von Revox A77 und Akai GX-630D Dauer ca. 27'- 35'
Der Karlsruher Komponist Volker Heyn hatte in den zwölf Jahren seines Australienaufenthaltes eine Unmenge an Klangmaterial
aus seiner Umgebungsrealität auf Cassetten-Recorder und Tonbandmaschinen festgehalten.
Nach seiner Rückkehr 1972 nach Europa war damit nicht Schluss, sodass er inzwischen auf ein Zeitfenster von über 40 Jahren
akustisch zugreifen kann. Ein gigantisches Klangarchiv mit Tönen und Klängen aus Industrie und Natur; self-mades, home-mades
und sound scapes etc. Dieses Konvolut ist die Quelle seiner Sounds für die Kompositionen.
So auch für die Arbeit an TRANSFER, die er aktuell fertig stellt.
Volker Heyn greift auf diesen analogen Aufnahmeschatz zurück, will nichts davon digitalisieren, um eventuell alles damit machen
zu können. Er schätzt den Tonbandsound, seine Durchmischung von authentischer Aufnahme vor magnetbedingter Bandrauschkulisse;
diese patinierten Klangstücke, die durch ihr technikbedingtes Abfärben erst richtig körperlich werden können.
Das ist kein nostalgischer Bandmaschinenfetischismus, sondern mehr der Idee des Premiumhörens geschuldet.
Noch ist keine Digitaltechnik bislang in der Lage, solch auratische Höreindrücke zu generieren. Auch das Link Volt bzw. Pono-Projekt
Von Neil Young wird sich daran die Zähne ausbeißen müssen.
Für die Komposition TRANSFER will Volker Heyn die authentische Orginalklangbildkulisse erschaffen. Die Quellsounds aus vier Tonband-
maschinen verteilen sich nicht nur im Links-Rechts-Spektrum, sie organisieren auch den Vorne-Hinten-Höreindruck.
Durchaus vergleichbar mit der Kunstkopfstereophonie der 1970er Jahre.
Die Klangarchitektur von TRANSFER entsteht in Trial and Error-Technik. D.h. sie greift auf Simultaneitäts- bzw.Synchronizitäts-
ereignisse zu, die sich während des Abspielens aller beteiligten Bandmaschinen ergeben und die durch Effektgeräte zusätzlich
modifiziert werden.
Nun hat Volker Heyns Komposition nicht allein die analoge Soundcollage als Selbstzweck im Sinn.
TRANSFER will auch eine literarische Abfärbung hinein in den Klang leisten. So bezieht sich der Komponist auf zwei Quellentexte:
Den 1906 erschienen Roman The Jungle von Upton Sinclair und den 1925 erschienen Roman Manhattan Transfer von John Dos Passos.
Beide Romane setzen sich mit Wirtschafts- und Sozialisationsformen im Großstadtdschungel der durchindustrialisierten Anfänge auseinander.
In den assoziierten Sounds dieser Romane sieht Volker Heyn eine Analogie bzw. Affinität zu den in Jahrzehnten selbst eingefangenen
Sounds auf seinen Bandmaschinen.
Mit TRANSFER entsteht also die Musik zum Storyboard der beiden sozialkritischen Romane.
In ihrer performativen Form wird daraus auch eine Art Hörfilm, indem Volker Heyn zusätzlich mit optischen Inserts auf einzelne Textstellen
der Romanquellen reagiert.
TRANSFER ist keine Nacherzählung mit musikalischen Mitteln; sie ist eher ein Nachhören der literarischen Informationen nachdem sie
akustisch transformiert wurden.
Dr. Herbert Köhler (aica)
Kulturpublizist ….. nemos 21
[ Michael Zwenzners englische Expose Version als PDF ]
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